| Veranstaltung: | LDK-Wolfsburg-2025 |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | 8. Weitere Anträge |
| Antragsteller*in: | LAG Schule (dort beschlossen am: 26.09.2025) |
| Status: | Eingereicht |
| Eingereicht: | 24.10.2025, 16:59 |
WA19: Volle Bildungsteilhabe für alle stärken, Diskriminierung und Rassismus entgegenwirken: Diskriminierungsschutz im NSchG verankern
Antragstext
Das Niedersächsische Schulgesetz (NSchG) soll ergänzt werden durch die folgenden
Formulierungen bzw. sinngemäß entsprechende:
- Diskriminierung, insbesondere auch rassistische Diskriminierung, ist in
der Schule nicht tolerierbar.
- Schülerinnen und Schüler, die von Diskriminierung betroffen sind, werden
geschützt und unterstützt.
Begründung
Vielen Menschen, Vereinen und Verbänden (wie z. B. Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in Niedersachsen/AMFN, Nds. Flüchtlingsrat, Migrantenelternnetzwerk/ MEN, Deutsche Vereinigung für Politische Bildung/DVPB Niedersachsen) ist es ein Anliegen, jeder Form von Diskriminierung in der Schule, insbesondere auch rassistischer Diskriminierung, entscheiden entgegenzuwirken. Es ist unerlässlich, Diskriminierungsschutz im NSchG explizit und ausdrücklich zu verankern. Diese Forderung schließt sich an die Koalitionsvereinbarung an, in der es immerhin vage Aussagen hierzu gibt in den Kapiteln Bildung, Migration und Integration.
Wie wir alle wissen, nimmt die Bildungsungleichheit in Deutschland weiter zu. In keinem anderen OECD-Land hängt der Bildungserfolg so stark von Herkunft ab wie in Deutschland. Das bescheinigt uns jede Bildungsvergleichsstudie aufs Neue. Wir wissen auch, dass Diskriminierung, insbesondere rassistische Diskriminierung, im Bildungsbereich keine Randerscheinung ist und zu Bildungsungleichheit beiträgt. Wir wissen auch, welch schlimme und weitreichende Auswirkungen Diskriminierung auf das Selbstbewusstsein der Betroffenen, auf ihre Identifizierung mit der Schule oder ihre Leistungsbereitschaft haben kann. Nur ein Bruchteil der Lehrkräfte, der Eltern sowie der Schüler und Schülerinnen traut sich, sich gegen institutionelle oder individuelle Benachteiligungen und Demütigungen zu wehren. Das betrifft insbesondere bildungsbenachteiligte, rassismuserfahrene Familien, die häufig in der Schule keine Lobby haben und kaum in Gremien vertreten sind.
Wie gesagt: Diskriminierung, insbesondere auch rassistische Diskriminierung, trägt zu ungleichen Bildungschancen bei. Laut der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und verschiedener wissenschaftlicher Studien weisen Schüler*innen aus bildungsbenachteiligten Gruppen oft schlechtere Leistungen auf und haben weniger Zugang zu Bildungsressourcen. Hinzu kommt, dass bei ihnen die Gefahr, von individueller oder struktureller Diskriminierung betroffen zu sein, besonders hoch ist.
Wir müssen uns klar machen, dass Kinder und Jugendliche, die in der Schule diskriminiert werden, in ihrer Menschenwürde verletzt werden. Diskriminierung in der Schule kann negative Auswirkungen auf die Leistungsmotivation bewirken und langfristig die beruflichen Perspektiven und die soziale Teilhabe der Betroffenen negativ beeinflussen. Dies vor dem Hintergrund, dass Motivation einer der stärksten Faktoren für das Lernen überhaupt ist. Im Gegenzug wirken sich Bildungsgerechtigkeit und eine hohe Bildungsteilhabe auch auf die Chancengleichheit im späteren Leben aus.
Pädagogische Ansätze in Schulen, die zur Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus und zu einer Anerkennungs- und Wertschätzungskultur beitragen, wirken sich positiv auf gesellschaftlichen Zusammenhalt aus. Angesichts der zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft, den wachsenden Bedrohungen durch Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist die Schule der Vielfalt der Ort, in dem Gemeinschaftsgefühl und ein solidarisches Miteinander wachsen können. Eine gerechte Bildung und eine inklusive Schule, die vor Diskriminierung schützen, fördern das Vertrauen in Institutionen und in die soziale Kohäsion und stärken damit auch die Demokratie. Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde der Schüler*innen im Sinne von Art. 1 GG ist eine Verpflichtung von Schule.
Es braucht endlich klare Formulierungen im Schulgesetz, die eindeutig regeln, dass von Diskriminierung betroffene Personen geschützt sind. Betroffene Personen müssen aktiv dabei unterstützt werden, ihr Recht auf Gleichbehandlung zu bekommen.
Eine inklusive Schule ist eine Schule, in der diskriminierungsfrei gelebt und gelernt werden kann. Auch wenn im Bildungsauftrag §2 des NSchG sowie in §3, wo es um die „Freiheit des Bekenntnisses und der Weltanschauung“ (§3, Abs.2 Satz 2) durchaus eine Reihe positiver, wertender Aussagen für eine diskriminierungsfreie, von Vielfalt geprägte Bildung und Erziehung gemacht werden, fehlen explizite Aussagen zum Schutz vor Diskriminierung. Durch die explizite Verankerung von Diskriminierungsschutz im NSchG wird eine höhere Rechtsklarheit geschaffen. Diese ist grundlegend wichtig, denn sie dient als Grundlage für die Steuerung und Gestaltung des Schulwesens in Niedersachsen auf allen bildungspolitischen Ebenen. Entsprechende normsetzende bzw. operative Zielsetzungen und Rahmenbedingungen in Form von untergesetzlichen Regelungen sind notwendig und müssen weiterentwickelt werden. Dazu gehören u.a. auch eine diskriminierungsfreie Sprache in allen Erlassen und Verordnungen, die entsprechende Überarbeitung der KCs, der Aufbau von Beratungsstrukturen, zielgerichtete Fortbildungen etc.
Unsere jetzige Landesregierung, insbesondere das Kultusministerium, ist hier auf einem guten Weg. Das ist hoch anzuerkennen. Ich nenne hier nur beispielhaft die Einrichtung von sechs Antidiskriminierungsstellen in der Schulpsychologie der Regionalen Landesämtern für Schule und Bildung (RLSB), die Einrichtung von sechs Regionalkoordinator*innen für gesellschaftliche und sexuelle Vielfalt bei den RLSB, verschiedene Fortbildungsmaßnahmen des NLQ zur diversitätsbewussten und rassismuskritischen Schulentwicklung, die bereits auf den Weg gebrachte entsprechende Überarbeitung der Kerncurricula, die Förderung verschiedener Fachtagungen und Workshops zur diversitätsbewussten und rassismuskritischen Schulentwicklung, sowie fünf befristete Beratungsstellen gegen Rassismus in der Bildung (BERBI, AMFN). Wir sind hier auf dem richtigen Weg! Allerdings brauchen wir hierzu ergänzend die normsetzende und strukturell wirksame Verankerung von Diskriminierungsschutz im NSchG. Wir sollten alle Mittel nutzen, um jetzt Strukturen zu schaffen, die nachhaltig wirksam sind und nicht allzu schnell von einer wie auch immer in zwei Jahren aussehenden Regierung abgeschafft werden können.
Noch ein Blick in andere Bundesländer. Im Berliner Schulgesetz (SchulG) §2, Abs.1 gibt es bereits eine wesentlich weiterreichende Formulierung als bei uns:
„Jeder junge Mensch hat ein Recht auf zukunftsfähige, diskriminierungsfreie schulische Bildung und Erziehung ungeachtet insbesondere einer möglichen Behinderung, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen oder antisemitischen Zuschreibung, des Geschlechts, der Geschlechtsidentität, der sexuellen Orientierung, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen, der Sprache, der Nationalität, der sozialen und familiären Herkunft seiner selbst und seiner Erziehungsberechtigten oder aus vergleichbaren Gründen.“
Was auch hier noch fehlt, ist der explizite Diskriminierungsschutz. Übrigens gibt es in Berlin ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) und die entsprechende Verankerung im Schulgesetz. Die Zielsetzungen im LADG und im Schulgesetz ergänzen sich. Das sollte auch für Niedersachsen so gesehen werden. Ein LADG (sollte es denn kommen), ersetzt nicht die Verankerung von Diskriminierungsschutz im Schulgesetz. In Berlin haben übrigens die genannten gesetzlichen Verankerungen dazu geführt, dass eine unabhängige Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS e.V.) gefördert wurde, die sich inzwischen fest etabliert hat und zivilgesellschaftliche Fallberatungen durchführt. Damit ergänzt sie die Angebote innerhalb von Schulen und Schulverwaltung.
Auch das Hamburgische Schulgesetz ist wesentlich klarer und weitreichender als das NSchG. In § 1, Satz 3 heißt es: „Zum Anspruch auf Bildung und Erziehung gehört auch ein Schulwesen, das frei ist von rassistischer Diskriminierung.“
Über die Verankerung von Diskriminierungsschutz im NSchG und entsprechende Rahmenbedingungen, Programme und Maßnahmen hinaus, sollten – wie in Berlin – auch unabhängige, zivilgesellschaftliche Beratungsstellen wie BERBI aufgebaut und etabliert werden, an die sich von Diskriminierung betroffene Personen wenden können. Nicht immer finden sie Vertrauenspersonen in Schule bzw. Schulverwaltung. Diese ergänzen die schulischen Angebote.
Letztendlich brauchen wir in Niedersachsen eine kohärente wirksame Antidiskriminierungsarchitektur aus einem Guss. Hier müssen zum einen die Schulen und die Schulverwaltung mit ihren Beratungsangeboten eingebunden sein, zum anderen nachhaltig verankerte zivilgesellschaftliche Strukturen. Dazu gehören die bereits erwähnten zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen wie auch eine unabhängige Ombudsstelle.
Wir erleben starke Kräfte von rechts, die die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhang gefährden – auch in den Schulen! Deshalb ist es wichtig, jetzt tragfähige und nachhaltig wirksame Strukturen zu schaffen, die geeignet sind, Diskriminierung entgegenzuwirken, Bildungsteilhabe unabhängiger von Herkunft zu machen und demokratische Bildung zu stärken.