| Veranstaltung: | LDK-Wolfsburg-2025 |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | 6. Antisemitismus bekämpfen - jüdisches Leben schützen |
| Antragsteller*in: | Landesvorstand (dort beschlossen am: 06.11.2025) |
| Status: | Eingereicht |
| Eingereicht: | 07.11.2025, 09:28 |
A2neu: Antisemitismus bekämpfen – jüdisches Leben schützen
Antragstext
„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“ - Primo Levi
86 Jahre nach den Novemberpogromen ist Antisemitismus gesellschaftliche
Realität: Er zeigt sich auf vielfältige Weise – laut und gewalttätig, aber auch
subtil und schleichend. Er findet sich in rechten, islamistischen und
verschwörungsideologischen Milieus ebenso wie in Teilen der politischen Linken.
Und er findet mitten in der Gesellschaft statt, in Alltagssprache und
vermeintlichen Witzen, in Klischees und Vorurteilen. Das alles sind deutsche
Probleme einer deutschen Gesellschaft, die wir gemeinsam erkennen und bekämpfen
müssen.
Die Ereignisse der letzten Jahre machen dies deutlich. Anschläge auf Synagogen
wie in Oldenburg, antisemitische Hetze auf den Straßen nach dem Terrorangriff
der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, Angriffe auf jüdische Studierende und
Lehrende, aber auch Beschädigungen und Bedrohungen gegen Erinnerungsorte wie die
Gedenkstätte Bergen-Belsen zeigen: Antisemitismus, egal ob offen, strukturell
oder codiert, bedroht jüdisches Leben – auch heute noch. Viele Jüdinnen und
Juden leben in ständiger Sorge: um ihre Kinder auf dem Schulweg, um ihre
Familien in der Öffentlichkeit, um ihre Gemeinden. Das ist ein unerträglicher
Zustand.
Am 9. November 1938 brannten in ganz Deutschland Synagogen, jüdische Geschäfte
wurden geplündert, Menschen geschlagen, verschleppt, getötet. Die
Reichspogromnacht markierte den Übergang von Diskriminierung, Ausgrenzung und
Entrechtung zur systematischen Vernichtung jüdischen Lebens in Europa. Sie war
der Auftakt zum beispiellosen Menschheitsverbrechen der Shoah, bei dem Deutsche
mehr als sechs Millionen europäische Jüdinnen und Juden ermordet haben.
Auch Sintizze und Romnja, politische Gegner*innen, queere Menschen, Menschen mit
Behinderungen und viele andere wurden Opfer der nationalsozialistischen
Verfolgungs- und Vernichtungspolitik. Ihr Leid und ihre Ermordung mahnen uns
ebenso, jeder Form von Menschenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten.
Aus dieser historischen Schuld erwächst für uns eine unverbrüchliche
Verantwortung: Antisemitismus niemals hinzunehmen, jüdisches Leben zu schützen
und für die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus einzustehen.
“Nie wieder” ist kein Satz aus der Vergangenheit, sondern ein dauerhafter
Auftrag.Nie wieder‘ darf kein exklusives Versprechen sein. Es gilt für alle
Menschen, überall auf der Welt. Wer sich diesem Satz verpflichtet fühlt, muss
Gewalt, Vertreibung und Entmenschlichung in jeder Form entgegentreten –
unabhängig davon, gegen wen sie sich richtet.
Zugleich tragen wir Verantwortung, Antisemitismus in Europa und weltweit zu
benennen und ihm entgegenzutreten. Dies gilt in allen gesellschaftlichen und
politischen Kontexten – in Organisationen, Medien und öffentlichen Diskursen.
Die Würde, Sicherheit und Teilhabe von Jüdinnen und Juden müssen überall
geachtet werden, unabhängig von staatlichen oder politischen Konflikten.
Jüdisches Leben in Deutschland und weltweit ist geprägt von großer innerer
Vielfalt – religiös, kulturell und politisch. Es umfasst Menschen, die sich
säkular oder orthodox verstehen, liberale Gemeinden ebenso wie strenggläubige
Strömungen. Diese Meinungsvielfalt ist Ausdruck lebendiger jüdischer Tradition
und verdient Respekt.
Im Talmud heißt es (Eruvin 13b): „Diese und jene sind die Worte des lebendigen
Gottes.“ Diese Haltung erinnert uns daran, dass Pluralität kein Widerspruch,
sondern Stärke ist – im Judentum wie in jeder offenen Gesellschaft. Es steht uns
als nichtjüdischer Mehrheitsgesellschaft nicht zu, vorzuschreiben, wie Jüdinnen
und Juden ihr Judentum verstehen oder leben. Kritik an der Politik der
israelischen Regierung ist legitim und Teil demokratischer Debatten;
Antisemitismus beginnt aber auch dort, wo jüdische Menschen und die Bevölkerung
Israels kollektiv für Handlungen des Staates verantwortlich gemacht werden.
Antisemitismus ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern bittere Gegenwart.
Jüdinnen und Juden werden beleidigt, bedroht und angegriffen. Synagogen, Schulen
und jüdische Einrichtungen müssen durch Polizei geschützt werden. Dass jüdisches
Leben in Deutschland bis heute Schutz durch Sicherheitskräfte braucht, ist und
bleibt eine Schande für unser Land. Antisemitische Stereotype und Feindbilder
treten heute in neuen Formen auf: als Relativierung oder Instrumentalisierung
der Shoah, als verschwörungsideologische Erzählungen oder auch als Projektion
globaler Konflikte auf Jüdinnen und Juden.
Wir GRÜNE Niedersachsen sind antifaschistisch. Für uns ist klar: Der Kampf gegen
Antisemitismus ist Teil unseres Selbstverständnisses und unseres politischen
Auftrags. Wir bekennen uns dazu, jüdisches Leben in Deutschland nicht nur zu
schützen, sichtbar zu machen und zu fördern. Dazu gehören Bildung und
Erinnerung: Antisemitismusprävention muss fest im Bildungssystem verankert sein.
Jüdisches Leben muss als selbstverständlicher Teil deutscher Geschichte und
Gegenwart vermittelt werden. Gedenkstättenarbeit und historisch-politische
Bildung müssen gestärkt, Begegnungen ermöglicht und kritische Medienkompetenz
gefördert werden.
Antisemitismus darf keinen Platz haben – weder im Alltag noch auf der Bühne.
Kulturinstitutionen, Vereine und Initiativen sind gemeinsam mit Vertreter*innen
jüdischer Gemeinschaften und anderen Minderheiten- und Interessengruppen
gefordert, unter Mitbestimmung der Betroffenen, antisemitismuskritische
Leitlinien zu entwickeln und konsequent umzusetzen. Gleichzeitig gilt es, Kunst
und Kultur von Jüdinnen und Juden sichtbar zu machen und zu unterstützen.
Jüdische Einrichtungen müssen sicher sein. Dafür braucht es eine verlässliche
Finanzierung von Schutzmaßnahmen und die enge Zusammenarbeit von Gemeinden,
Ländern und Sicherheitsbehörden. Antisemitische Straftaten müssen konsequent
verfolgt und geahndet werden. Unser Rechtsstaat muss zeigen, dass er auf der
Seite der Betroffenen steht.
Die rot-grüne Landesregierung hat in diesen Bereichen zurecht Mittel verstetigt
und neue Mittel für Sicherheit, Begegnung und Erinnerung sowie demokratischer
Bildung bereitgestellt.
Antisemitismus ist aber nicht allein politisch zu besiegen. Wir brauchen Haltung
– in Parteien, Vereinen, Schulen, Medien und am Arbeitsplatz. Schweigen und
Wegsehen sind keine Option. Jede*r Einzelne ist gefordert, Widerspruch zu
leisten, wenn antisemitische Äußerungen fallen.
Unsere Verantwortung endet nicht an den Landesgrenzen. Der Schutz von Jüdinnen
und Juden ist Teil der deutschen Staatsräson. Dazu gehört das unverrückbare
Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Wir stehen an der Seite Israels in seinem
Recht, seine Bürgerinnen und Bürger gegen Terror zu schützen. Und wir stehen an
der Seite der israelischen Zivilbevölkerung, die seit Monaten für Frieden und
Bürger*innenrechte demonstriert. Zugleich sind wir in der Verantwortung, in
Europa und weltweit Antisemitismus zu benennen und ihm entgegenzutreten. Das
gilt auch in internationalen Organisationen, in denen Israel einseitig
delegitimiert oder dämonisiert wird. „Nie wieder“ gilt universell – für die
Würde und Sicherheit von Jüdinnen und Juden überall auf der Welt.
„Nie wieder“ bedeutet heute: Nie wieder Gleichgültigkeit, nie wieder Wegsehen.
Nie wieder Hass als Normalität. Unsere wehrhafte Demokratie zeigt sich darin,
Minderheiten zu schützen und Vielfalt zu bewahren. Am 9. November gedenken wir
der Opfer des Nationalsozialismus und der Reichspogromnacht. Zugleich bekennen
wir uns zu unserer Verantwortung: dafür zu sorgen, dass jüdisches Leben in
Deutschland eine sichere und selbstverständliche Zukunft hat.
Nie wieder ist jetzt.
Begründung
Überarbeiter Antrag auf Grundlage des vorherigen Antrags A-2 und des Änderungsantrags Ä1 zu A2. Diese Anträge wären damit erledigt.