| Veranstaltung: | LDK-Wolfsburg-2025 |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | 8. Weitere Anträge |
| Antragsteller*in: | KV Oldenburg-Stadt (dort beschlossen am: 09.09.2025) |
| Status: | Eingereicht |
| Eingereicht: | 12.10.2025, 19:49 |
WA10: Tödliche Polizeieinsätze: Reformen für Vertrauen und Transparenz
Antragstext
Die Debatten nach tödlichen Polizeieinsätzen – zuletzt der Tod von Lorenz A. in
Oldenburg – zeigt auf schmerzliche Weise, wie dringend strukturelle Reformen bei
der Polizei erforderlich sind. Besonders junge Menschen, die als „fremd“ gelesen
werden, sowie ihre Familien und Freund*innen verlieren aufgrund struktureller
ungerechter und ungerechtfertigter Behandlungen zunehmend das Vertrauen in
staatliche Institutionen.
In vergleichbaren Fällen wie dem Polizeieinsatz mit Todesfolge in Oldenburg gab
es in der Vergangenheit immer wieder schwerwiegende Missstände – von
mangelhafter Aufklärung innerhalb der Polizei bis hin zu fehlenden Konsequenzen
für verantwortliche Einsatzkräfte.
Bündins 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen schließt sich den Forderungen des
Stadtverband Oldenburg an. Ziel ist eine unabhängige und transparente Kontrolle
staatlichen handelns zu gewährleisten und anonyme Anlaufstellen für
Polizist*innen zu schaffen.
Unsere Forderungen:
1. Selbständige Ermittlungsstellen auf Bundes- und Landesebene
Wir fordern die Einrichtung einer institutionell unabhängigen Ermittlungsstelle,
die bei Verdacht auf polizeiliches Fehlverhalten umfassend und in eigener
Zuständigkeit tätig wird.Das gilt für tödlich verlaufende Einsätze, aber auch
für Fälle von Diskriminierung, sexualisierter Gewalt oder verfassungsfeindlicher
Tendenzen nicht allein in Chatgruppen. Der Blick beispielsweise nach Dänemark
zeigt, dass diese Stelle außerhalb der Polizei angesiedelt werden kann und
sollte. Bei tödlich verlaufenden Einsätzen soll diese Ermittlungsstelle durch
eine zivilgesellschaftlich besetzte Kommission unterstützt werden. Auf
Landesebene fordern wir bis dahin umgehend, dass solche Ermittlungen künftig
nicht mehr durch benachbarte Polizeiinspektionen oder –direktionen durchgeführt
werden, sondern von einer unabhängigen Ermittlungseinheit.
2. Polizeibeauftragte mit echten Befugnissen auf Länderebene
Wir fordern in allen Bundesländern die Einrichtung von unabhängigen,
parlamentarisch kontrollierten Polizeibeauftragten mit umfassenden Rechten:
Akteneinsicht, eigene Ermittlungen, strukturelle Prüfung von Missständen. Auch
in Niedersachsen fordern wir eine*n solche*n Polizeibeauftragte*n als zentrale
Beschwerdestelle für von Diskriminierung betroffene Bürger*innen und für
Polizist*innen. Auch innerhalb der Polizei muss es möglich sein, von
Diskriminierung betroffenen Anwärter*innen und Beamten*innen die Möglichkeit zu
geben, sich anonym, vertrauensvoll und niederschwellig an jemanden zu wenden.
Diese sollten, personell auskömmlich ausgestattet, über Verfahrensrechte in
Straf-, Disziplinar- und Verwaltungsverfahren verfügen, um Betroffenen die
Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen. Zudem empfiehlt sich eine verbindlich
geregelte Zusammenarbeit der Polizeibeauftragten mit zivilgesellschaftlichen
Organisationen wie etwa Opferberatungsstellen.
3. Reform der Polizeiausbildung und Einsatzrichtlinien
Polizeiliche Ausbildung muss sich grundlegend verändern. Insbesondere
Kommunikation, Deeskalation, der Umgang mit psychischen Ausnahmesituationen, der
Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit sowie Sensibilität für
strukturelle Diskriminierungsrisiken und Rassismus gehören daher, gleichwertig
zu rechtlichen und taktischen Inhalten, ins Zentrum der Ausbildung an der
Polizeiakademie und dringend auch in die Phase des Praxiseinstiegs in die
Polizei. Ein laufendes Monitoring ist hierfür ebenso unerlässlich wie die
Stärkung der Supervision von polizeilichem Alltagshandeln und
Alltagserfahrungen.
4. Rassismuskritische Perspektiven institutionalisieren, Kultur der
Rechenschaftspflicht etablieren
Institutioneller Rassismus ist kein individuelles Versagen – sondern strukturell
verankert. Deshalb fordern wir verpflichtende Module zu Rassismuskritik und
Diskriminierungssensibilität in der Ausbildung von Polizei, Justiz und
Verwaltung.Nur durch eine Kultur der institutionellen Verantwortung und eine
professionelle, reflektierte Haltung kann das Vertrauen marginalisierter Gruppen
in staatliche Institutionen wiederhergestellt werden.
5. Studien zu Diskriminierung anwenden und Polizeiforschung stärken
Umfassende, wissenschaftlich fundierte Studien zu institutionellen
Diskriminierungsrisiken in der Polizeiarbeit, zu strukturellem Rassismus, zu
konkreten Rassismus- und Diskriminierungserfahren liegen inzwischen vor.
Polizeiliches Handeln muss nun systematisch mit den Erkenntnissen dieser Studien
in Einklang gebracht werden und weiter durch Forschung begleitet werden. Der
Umgang mit polizeilichen Datensystemen, der Einzug von KI in die Polizeiarbeit
und damit verbunden die Frage diskriminierungssensibler Algorithmen sind nur
zwei weitere Herausforderungen. Hierfür fordern wir eine eigenständige
Forschungsstelle, die dauerhaft Polizeipraxis erforscht und Polizeiarbeit auf
diese Weise unabhängig begleitet
6. Schutz, Sichtbarkeit und Förderung marginalisierter Perspektiven
Die Erfahrungen von Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPoC) müssen
verstärkt sichtbarer Teil der politischen Debatte werden. Schutzmaßnahmen für
marginalisierte Gruppen dürfen nicht nur symbolisch existieren, sondern müssen
konsequent umgesetzt und gefördert werden. Wir fordern die Anerkennung und
Unterstützung gemeinschaftsbasierter Schutzstrukturen, die von BIPoC selbst
getragen werden – in Politik, Gesellschaft und Verwaltung. Nur durch gezielte
Förderung, politische Repräsentanz und strukturelle Anerkennung kann der Schutz
marginalisierter Gruppen nachhaltig sichergestellt werden.
7. Verbindliche Grundlagen für den Einsatz von Bodycams
Wir fordern einen bundesweit einheitlichen, gesetzlich verankerten Umgang mit
Bodycams auf breiter, wissenschaftlicher Grundlage. Bodycams sollen
situationsangemessen automatisch aktiviert werden, um eine lückenlose
Dokumentation von Einsätzen zu gewährleisten. So bedarf es zuvorderst einer
automatisierten Auslösung der Bodycam beim Waffeneinsatz, darüber müssen
Bodycams beim Einsatz unmittelbaren Zwangs ebenso ausgelöst werden wie auch auf
Verlangen Betroffener. Auch hier braucht es mehr Begleitforschung, zugleich
einer Stärkung der Aus- und Weiterbildung kommunikativer Begleitung der Nutzung
von Bodycams. Zudem müssen Bodycams vor Manipulationen und dem unberechtigten
Zugriff Dritter geschützt und mögliche Verstöße deutlich sanktioniert werden.
8. Den Kulturwandel in der Polizei stärken
Polizei wird jünger, weiblicher, diverser. Diesen Prozess wollen wir
unterstützen. Gleiches gilt für die Demokratiearbeit innerhalb der Polizei. Die
Stärkung von demokratischer Resilienz ist der beste Schutz für und durch
Polizei, politische Bildung, Erinnerungsarbeit, der kritische und offene
Austausch mit der Zivilgesellschaft der richtige Weg.